Hauptmann, Gerhart: Bahnwärter Thiel

Klappentext

Zitat :

Gerhart Hauptmanns 1888 erschienene "novellistische Studie" 'Bahnwärter Thiel' ist das erste bedeutende Prosawerk des deutschen Naturalismus. Bahnwärter Thiel ist in zweiter Ehe mit der herrschsüchtigen Lene verheiratet. Als Tobias, Thiels geistig und körperlich zurückgebliebender Sohn aus erster Ehe, unter einen Zug gerät und stirbt, wird Thiel zum Mörder und verfällt dem Wahnsinn.
In knapp ausgeführten Bildern und straffer Erzählführung entwirft Hauptmann eine psychopathologische Studie, in der er die Person Thiels als Spielball von Triebkräften und unklaren Bewusstseinszuständen zeichnet und die Darstellung der Außenwelt zur Spiegelung innerer Zustände verwendet. Dabei erreicht er eine sprachliche Intensität, die bereits auf expressionistische Stilformen vorausweist.

also bei dem buch handelt es sich um eines meiner absoluten lieblingsbücher. ich musste es damals in der schule lesen und war zu beginn natürlich entsprechend angenervt, und dan hab ichs angefangen, innerhalb von 1 1/2 stunden ausgelesen und war völlig geflashed. ich liebe dieses buch, habs allerdings durch die besprechungen und das verstehen der hintergründe noch mehr lieben gelernt.

Ich glaube, das könnte mir auch gefallen. Die Geschichte ist zwar sehr tragisch, aber das ist ja der Reiz daran, denk ich.

zum einen isses der reiz, dass es so tragisch is, zum anderen das krasse ende. ich hatte mir damals nicht erst durchgelesen worums ging und war echt geschockt. aber ich finde das, was ann am ende am meisten spaß macht is sich zu überlegen wie der thile tickt und wieso er so handelt, wie er handelt.

Thiel ist ein gewissenhafter und fleißiger Mann, der seinen täglichen Gewohnheiten nachgeht. Als seine Frau, die er über alles liebt, bei der Geburt seines Sohnes stirbt, ist er am Boden zerstört, aber schon nach kurzer Zeit heiratet er die dominante Lene, da sich jemand um den kleinen Tobias kümmern muss. Die Frau begegnet dem kleinen, behinderten Kind mit Ablehnung und später sogar mit Hass und Gewalt, als sie ein eigenes Kind gebärt.
Thiel, der sich dieser Frau nicht gewachsen sieht, zieht sich in seine eigene Welt zurück. Das Bahnwärterhäuschen stellt seinen Schutz gegenüber Lene dar. Dort unterhält er sich mit seiner verstorbenen Frau und fleht sie sogar um Hilfe an. Als dann Lene auch noch in seinen persönlichen Bereich eindringt, gibt er sich Wahnvorstellungen hin und es reifen immer schlimmere Gedanken in ihm heran. Tobias' Tod reißt ihn schließlich aus seiner Lethargie und Thiel wird zum Doppelmörder.

Ohne irgendwelche Ausschweifungen und unwichtigen Details erzählt uns Gerhart Hauptmann seine Geschichte vom Bahnwärter Thiel. Obwohl er sich dabei immer so kurz wie möglich hält, ist es eine sehr bildhafte Sprache. Sogar Thiels Gedankenwelt überträgt er an die Natur und verwendet viele Metaphern oder symbolische Vergleiche.

Es wird zwar nicht direkt erwähnt, aber nach dem Tod seiner ersten Frau verfiel er in eine Depression, was nach dem Verlust eines geliebten Menschen jedoch nachvollziehbar ist. Trotz seiner Trauer denkt er an seinen kleinen Sohn und heiratet nur deswegen eine andere Frau. Diese unterdrückt Thiel ständig und er ordnet sich ihr widerstandslos unter. Sogar als sie seinen Tobias schlägt und mit wüsten Beschimpfungen überhäuft, nimmt er es wortlos hin. Dem gemeinsamen Kind mit Lene begegnet der Bahnwärter mit Gleichgültigkeit, was besonders dadurch deutlich wird, dass Hauptmann nie einen Namen dafür vergibt, sondern immer nur von dem "Kind" spricht. Vor allem diese Gleichgültigkeit Thiel's, schürte den Hass von Lene gegenüber Tobias immer mehr.
Als der Bahnwärter allerdings die Gewalt seiner Frau wortlos hinnahm, war ich echt geschockt. Wie kann er nur dabei zusehen, wie dieses Weib den armen Jungen verhaut!? Lieber zieht er sich sein Bahnhäuschen zurück und phantasiert von seiner verstorbenen Frau.
Diese Vision, in der die Tote mit einem blutigen Bündel davon marschiert, hab ich zuerst gar nicht verstanden, aber als Tobias starb, war mir klar, dass die Mutter lieber ihr Kind zu sich holt, als weiter mitansehen zu müssen, wie es misshandelt wird und der Vater tatenlos zusieht.
Der Verlust eines weiteren geliebten Menschen versetzt Thiel schließlich in Wahnvorstellungen, er tötet Lene, der er die Schuld dafür gibt, und ihr Kind und will schließlich Selbstmord begehen. Dieser missglückt und der Bahnwärter wird in die Irrenanstalt gebracht. Sehr tragisch fand ich, als er dabei ständig Tobias' Mütze in der Hand hielt und sie hütete wie einen Schatz.

Tja, wäre Thiel vielleicht mehr auf Lene eingegangen oder hätte mehr Zuneigung zu seinem zweiten Kind gezeigt, wäre es wahrscheinlich nie so weit gekommen. Obwohl Lene eigentlich eine eher unsypathische Person ist, fand ich die Schuldzuweisung an Tobias' Tod nicht gerechtfertigt. Oder hat sie Tobias absichtlich vor den Zug gestoßen? Wir werden es nie erfahren, ebenso wenig wie Thiel...

Stilistisch, sowie psychologisch ein großartiges Werk von Gerhart Hauptmann, das den Leser, trotz des eher nüchternen Tons, nicht kalt lässt. "Bahnwärter Thiel" erzählt den psychologischen Zusammenbruch eines Menschen, dem hätte geholfen werden, doch als Leser kann man nur hilflos zusehen, wie die Situationen mehr und mehr eskalieren.
Ich bin von Hauptmann's Erzählung sehr beeindruckt und hatte die ca. 50 Seiten in knapp einer Stunde durch. Sehr empfehlenswertes "Büchlein"!

es freut mich, dass es dir gefallen hat. ich lese das buch auch immer und immer wieder gerne. zu thiels reaktion was lenes umgang mit tobias angeht schau dir mal die freudsche psychoanalyse an. so hat man mir das damals in der schule erklärt. ich meine mich erinnern zu können, dass sein "es" mit minnas tod so überhand genommen hat, dass sein "ich" zerquetscht wird und das "es" und das "über ich" nur noch miteinander kämpfen und thile psychisch gar nicht mehr in der lage ist richtig zu reagieren. und nachdem tobias dann tod ist verzieht sich auch das "über ich" und die Triebe mit allen rachegelüsten nimmt überhand.
also ich konnte thiel schon iwie ein bisschen nachvollziehen wie und warum er so gehandelt hat. dann muss man sich auch überlegen, dass das buch aus einer Zeit kommt, in der es normal war kinder zu schlagen. in welcher intensität war dabei den eltern überlassen und ich denke, dass thiel dmait einfach überfordert war. ich muss mal in meinen unterlagen gucken, ob ich dir dann mehr erklären kann. ^^

Ich versteh schon was du meinst. Der Artikel auf Wikipedia über die Psychoanalyse durch Freud ist wirklich interessant und der über "Bahnwärter Thiel" verdeutlicht noch einmal ganz gut, die Beziehungen der Protagonisten untereinander, seelischer sowie körperlicher Abhängigkeit.

Einerseits kann ich Thiel's Handlungen schon nachvollziehen, plötzlich eine so dominierende und herrsüchtige Frau an seiner Seite zu haben, war für ihn ganz neu, da Minna ja immer als kränklich und still beschrieben wird. In dem Moment, als Thiel seinen Tobias tot sieht, gewinnt das "Es", wie du schon sagtest, überhand, er gibt Lene die Schuld daran und gibt sich seinen Rachegelüsten hin. Dennoch finde ich den Mord an Lene und dem Kind einfach schlimm. Ja, irgendwie ist es verständlich, aber Mord ist doch - sowas entzieht sich meinen Gedanken, es ist echt schwierig zu erklären! Wahrscheinlich muss man erst in einer ähnlichen Situation wie Thiel stecken um es wirklich 100%ig nachvollziehen zu können...